Wenn ich Führungskräfte nach ihren größten Stressfaktoren frage, dann taucht neben den „üblichen Verdächtigen“ (Zeit, Geld, Personalstand und Arbeitsmenge) vor allem immer wieder eines auf: das Gefühl „Wenn ich mich nicht selbst drum kümmere, dann läuft hier nichts“ – bzw. der Wunsch, dass Mitarbeiter eigeninitiativ und selbstständig gute Arbeit machen.

Umgekehrt wünschen sich das nicht nur die Führungskräfte, sondern auch die meisten Mitarbeiter. „Es wäre wirklich schön, wenn wir hier nicht nur Befehlsempfänger wären!“, so drücken Mitarbeiter das dann aus. Tatsache ist: Die meisten Menschen, egal ob Mitarbeiter oder Führungskraft, arbeiten besser und mit mehr Motivation, wenn sie Verantwortung übernehmen und mitgestalten können. Und wenn es dafür einen klaren Rahmen gibt.

Die Realität in deutschen Kliniken sieht oft noch anders aus. Da gibt es Führungskräfte, die sich im operativen Geschäft so aufreiben, dass sie gar keine Zeit mehr für strategische oder Führungsaufgaben haben. Mitarbeiter, die sich gedanklich schon lange zurückgezogen haben, weil sie meinen, ihr Beitrag sei nicht gefragt. Und strukturelle Rahmenbedingungen, die eigeninitiatives Arbeiten häufig eher erschweren als erleichtern. Es fehlt die Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, was Mitarbeitern helfen kann, in die Eigeninitiative zu kommen – und Führungskräfte vom operativen Geschäft zu entlasten.

Sicherheit und Transparenz in den Rahmenbedingungen

Es kommt gar nicht so selten vor, dass Mitarbeiter (und übrigens auch Führungskräfte!) genau dann einen Rüffel kassieren, wenn sie in bestem Wissen und Gewissen selbständig eine Entscheidung gefällt haben. In der Regel haben sie dann geschriebene oder ungeschriebene Gesetze verletzt, die entweder im Haus oder bei der jeweiligen Führungskraft gelten. Ärger zu bekommen, wenn man eigeninitiativ gehandelt hat, führt in den meisten Fällen dazu, dass Mitarbeiter sich zukünftig damit zurückhalten.

Das bedeutet: Damit Mitarbeiter eigenverantwortlich handeln können, muss zunächst einmal klar und transparent sein, in welchen Zusammenhängen das möglich – vielleicht sogar erwartet – ist, wo die Grenzen eigenverantwortlichen Handelns sind und welche Ziele berücksichtigt werden sollen. Beispiel Dienstplanung: Wenn Mitarbeiter hier eigeninitiativ eine ausreichende Besetzung ihres Bereichs mit im Blick haben sollen, ist es sinnvoll, sie bei der Dienstplanung mit einzubeziehen. Aber wie weit darf das gehen? Dürfen Mitarbeiter selbständig Dienste tauschen oder muss der Vorgesetzte einbezogen werden? Welche Eckdaten (Überstunden, Besetzung etc.) sind dabei zu beachten und was ist die Mindestvoraussetzung, damit die Dienstplanung haltbar ist?

Ein weiterer Aspekt für einen sicheren Gestaltungsrahmen ist die Frage, wer für welches Thema zuständig ist oder den Hut dafür aufhat. Dies ist ein Thema, das in Kliniken häufig nicht abschließend geklärt ist. Dann arbeiten mehrere Menschen an verschiedenen Stellen am selben Thema, und ein Mitarbeiter, der eigeninitiativ etwas in die Wege leitet, wird mit Sicherheit mindestens mit einem davon kollidieren. Oder aber es fühlt sich niemand wirklich zuständig und die Dinge bleiben unbearbeitet.

Beispiel Investitionen: Wenn bestimmte Materialien nötig sind, um z.B. einen Ablauf in einem Bereich zu verbessern, dann muss der Mitarbeiter, der diese Ablaufänderung in die Wege leiten will nicht nur wissen, welchen Budgetrahmen es dafür gibt sondern auch, wer die Anschaffung genehmigen muss (und wie er denjenigen ins Boot bekommen kann).

Vertrauen in die Umsetzungsfähigkeit

Wenn Mitarbeiter eigeninitiativ sein sollen, dann wird das nur funktionieren, wenn die Führungskraft ihnen auch das Vertrauen entgegenbringt. Den Mitarbeitern muss das Signal gesendet werden, dass sie Entscheidungen selbständig und verantwortungsbewusst treffen und umsetzen können. Oder anders gesagt: Die Führungskraft muss dann auch bereit und in der Lage sein, sich zurückzuhalten die Mitarbeiter „machen zu lassen“.

Das ist in Kliniken zugegebenermaßen nicht immer so einfach, denn dort werden häufig Entscheidungen getroffen, die sowohl fachlich fundiert als auch rechtlich sicher sein müssen. Da vielen Führungskräften im Gesundheitswesen bewusst ist, dass am Ende sie die Verantwortung für die medizinische Versorgung tragen, sind sie auch gewohnt, diese entscheidend mit zu steuern. Dadurch geht manches Mal der Blick dafür verloren, in welchen organisatorischen (manchmal auch die Patienten betreffenden) Fragen andere Mitarbeiter möglicherweise den besseren Blick auf Zusammenhänge und Gestaltungsmöglichkeiten haben – und Führungskräfte beschäftigen sich mit Details, die der Arbeitsalltag mit sich bringt, die aber genauso gut durch die Mitarbeiter selbst, wenn nicht sogar besser, erledigt werden können.

Damit Mitarbeiter das tun, ist es wichtig, dass Führungskräfte sich damit zurückhalten, sofort steuernd oder regulierend einzugreifen. Besser kann es sein, sich zunächst berichten zu lassen, welche Lösungsansätze es für offene Themen gibt, als diese Lösungen selbst zu suchen und dann möglicherweise noch gegen den Widerstand der Mitarbeiter umzusetzen. Und: Besser, die Mitarbeiter setzen die Lösung selbst um, auch wenn dies anfangs vielleicht länger dauert.

Anerkennen des Engagements

Häufig werden Mitarbeiter schon dadurch ausgebremst, dass ihre Ideen oder Vorschläge von den Führungskräften sofort akribisch auf Schwachstellen hin untersucht, „auseinandergenommen“ und in Frage gestellt werden. Der Fokus liegt dann auf Risiken und möglichen Fehlerquellen und nicht mehr auf den Möglichkeiten, die darin stecken.

Hier hilft zunächst ein „Crashkurs lösungsorientiertes Denken“. Noch einmal das Beispiel Dienstplanung: Statt zum Beispiel zu fragen „Ja und wie wollen sie damit umgehen, wenn plötzlich jemand krank wird? Da funktioniert ja das ganze rollierende System nicht mehr!“ können Führungskräfte die Initiative ihrer Mitarbeiter würdigen und deren Lösungsfähigkeit stärken, wenn sie sagen „Ok, ein rollierendes System kann natürlich mehr Nachvollziehbarkeit und mehr Ausgewogenheit in die Dienstplanung bringen. Bitte überlegen Sie sich dazu auch, was in dem Fall greifen würde, wenn jemand erkrankt und nach welchen Regeln dann z.B. eine Krankheitsvertretung erfolgen könnte.“

Und: Sich bei Mitarbeitern zu bedanken, die gute Vorschläge einbringen oder eigeninitiativ knifflige Situationen bewältigen ist noch immer das Wichtigste wenn es gilt, Mitarbeiter zur Eigeninitiative zu motivieren.